Lektorenrundbrief Nr. 1 (Oktober 1996)


Geleitwort von Anne Gellert, Kumamoto

Rezensionen:
Eine Fundgrube an Texten und Ideen. Von Sascha Borchers-Langrieger, Aichi
Rezension zu "Trophologika Zedleriana". Von Frieder Sondermann, Sendai

Ein Fragment aus der (Arbeits-)welt der Frauen und Männer. Von Ursula Richter, Miyazaki


 

Geleitwort von Anne Gellert, Kumamoto

Liebe Lektorinnen und Lektoren,

eine Einleitung für diesen Lektorenrundbrief zu finden, ist gar nicht so einfach, denn wir sind ja ein ziemlich bunt gemischter Haufen. Aber trotz aller Unterschiede gibt es auch Gemeinsamkeiten: das Leben als Gaijin, das Unterrichten japanischer Studenten und nicht zu vergessen die Sonderstellung , die jeder unterschiedlich stark empfindet. Wir sind verstreut über das ganze Land und haben nur selten Gelegenheit zu einem Gespräch und Erfahrungsaustausch mit einem deutschsprachigen Kollegen. Selbst wenn man keine Hilfe braucht, wäre es doch ganz interessant, hin und wieder zu erfahren, was an den anderen Unis eigentlich so los ist.

Aus dieser Situation heraus haben wir auf dem Lektorentreffen im letzten September in Sapporo beschlossen, ein Forum zu schaffen, über das wir uns gegenseitig informieren und austauschen können. Eine kleine Planungsgruppe hat sich in der Zwischenzeit Gedanken über Inhalt und Koordination gemacht. Zu ihr gehören: Michael Höhn, Gernot Gad und Anne Gellert. Um den Worten Taten folgen zu lassen, haben wir eine erste, sicherlich noch verbesserungsbedürftige Ausgabe eines solchen Lektoren-Rundbriefes versucht. Die vorliegende Nullnummer ist als Vorschlag zu verstehen. Auch für Ideen für einen pfiffigeren Titel wären wir dankbar.

Der Rundbrief ist ein Forum "von Lektor(inn)en für Lektor(inn)en" (Als Lektorin erlaube ich mir, im folgenden Lektorinnen und Lektoren kurz als Lektor(en) zu bezeichnen). Die Vervielfältigung und Versendung übernimmt freundlicherweise das DAAD-Büro Tokyo.

Auf vier Din-A4-Seiten sind zunächst folgende Rubriken vorgesehen: An dieser Stelle wird es ein Leitthema oder Dossier geben, d. h. einen längeren Artikel von einem oder mehreren Lektoren zu einem Thema, das sie beschäftigt oder über ein Projekt, an dem sie arbeiten. Länger bestehende Arbeitsgemeinschaften können in der Rubrik Berichte der Lektoren-AGs regelmäßig über den Fortgang ihres Projekts informieren. Der Terminkalender ist zur Ankündigung von Veranstaltungen, auf die in anderen Publikationen für Lektoren nicht hingewiesen wird.Wir haben auch überlegt, ob wir eine Rubrik Personalien einrichten sollen. Hier könnten wir Adressenänderungen (von Lektoren) abdrucken. Im Adressenservice gibt es Hinweise auf wichtige Adressen in Japan oder Deutschland (z. B. zum Bestellen von Materialien).

Längerfristig ist eine Rubrik geplant, in der Informationen über neueingerichtete oder freiwerdende Stellen ausgetauscht werden können. In der Internet-Ecke können wir über neueste Funde beim Surfen oder über Erfahrungen beim Einsatz im Unterricht plaudern. Bei den Rezensionen sollten Bücher auftauchen, die weder im Fachdienst noch in InfoDaF behandelt werden, aber für Lektoren in Japan von Interesse sind. Obwohl spielerische Übungsformen bei japanischen Studenten gut ankommen, ist es als nicht-japanisch-sprechender Lektor manchmal etwas schwierig, deren Ablauf zu erklären. Daher könnten wir in den Didaktik-Tips Anleitungen auf japanisch abdrucken, die wir den Studenten geben können. Ansonsten sind didaktische Anregungen und Erfahrungsberichte aller Art herzlich willkommen!

In der ?-Ecke können Fragen gestellt werden. Letztens machte beispielsweise die Frage nach Erfahrungen mit dem Lehrwerk "Die Suche" via E-Mail die Runde. Die Antworten waren sehr interessant. An einem solchen Austausch sollten auch Kollegen teilnehmen können, die noch nicht ans Netz angeschlossen sind. Also können wir solche und ähnliche Fragen auch im Lektorenrundbrief abdrucken.

Soweit die vorläufige inhaltliche Planung des Lektorenrundbriefs.Für das Sammeln Eurer Beiträge und die Verwaltung der Adressenliste wird in jeder Region ein Lektor zuständig sein. Schickt Eure Beiträge, Kommentare und Umzugsmitteilungen also bitte an diesen Lektor, und zwar

in Hokkaido und Tohoku an Frau Mag. Sigrid Holzer, Kita-ku Kita 24 Nishi 12, App. 203, 001 Sapporo Tel/Fax: (011) 736-1342

in Kanto Herrn Dr. Gernot Gad, DAAD-Büro Tokyo,

Akasaka 7-5-56, Minato-ku, 107 Tokyo

Tel: (03) 3582-5962

in Koshinetsu, Hokuriku, Tokai und Kinki an Herrn Michael Höhn, Mie-ken, Tsu-shi 514

1515 Kamihama-cho

Tel: (0592) 31-9131

in Shikoku an Jürgen Wichmann

und in Kyushu und Chugoku an Frau Dr. Anne Gellert. Kumamoto Daigaku,

Bungakubu, Kurokami 2-40-1

860 Kumamoto-shi

Tel: (096) 342-2455

Auf dem Lektorentreffen am 10. Mai an der Keio-Universität in Tokyo möchten wir, die Planungsgruppe, gern über diese Nullnummer und Eure Kommentare, Einwände, und Verbesserungsvorschläge sprechen. Die Meinungen werden dabei sicher geteilt sein, aber ein offenes Forum für alle Lektoren, wie wir es mit diesem Lektorenrundbrief planen, lebt von der Meinungsvielfalt und wird gerade wegen der vielfältigen Unterschiede zwischen den einzelnen Lektoraten sehr interessant und spannend werden. Deshoo?1

Doch jetzt erst mal einen guten Semesterstart und viel Spaß beim Lesen!

Für die Planungsgruppe

(Anne Gellert)


Rezensionen:  

Eine Fundgrube an Texten und Ideen

von Sascha Borchers-Langrieger, Aichi

Jörg Matthias Roche/Mark Joel Webber: Für- und Wider-Sprüche. Ein integriertes Text-Buch für Colleges und Universitäten. Yale University Press New Haven and London 1995. 408 S. ISBN 0-300-05769-5. (Kassette auch erhältlich).

Eindeutigkeit ist sicherlich nicht das erklärte Lernziel von Jörg Roche und Mark Webber. Es handle sich um ein in vieler Hinsicht ungewöhnliches Buch, schreiben die in Kanada lehrenden Autoren. Indem "Für- und Wider-Sprüche" Texte und Lernstrategien für den Deutschunterricht vorstelle, versuche es neue Wege in der Themenauswahl, Darstellung und Behandlung zu beschreiten. Es "handelt von dem Versuch, Grenzen und Entfernungen zu überwinden: geographische, thematische, kulturelle und disziplinäre". Weder ist es bloß ein Sprach-, noch ein Landeskunde- oder Konversationskurs, sondern vielmehr ein integrierter Ansatz, der die genannten, wie zahlreiche weitere Elemente versucht miteinander auf vielfältige Weise in Verbindung und Beziehung zu setzen. Er ist lernerzentriert und themenorientiert. Ausgangs- und Zielkultur sollen sich begegnen und austauschen können, um die kritische Kompetenz der Lernenden zu fördern. Überraschend ist die schier unerschöpfliche Fülle authentischer Textsorten. Die Palette reicht dabei von Zeitungstexten, Comics, Graffiti und Werbeprospekten über Nationalhymnen, Reden, (öffentliche) Briefe, Propagandapostkarten bis hin zu Liedern und literarischen Texten. Sie sind auf 408 Seiten in folgende große Themenbereiche gegliedert: 1. "Stereophon - stereotyp: Wenn zwei Kulturen sich begegnen", 2. "'Zwischen den Stühlen': Identitätsfindung und Interkulturalität", 3. "Kontro-Verse und Wider-Sprüche: Mit Sprache spielen", 4. "Gewalt und Widerstand" und 5. "Zur Aktualität der Vergangenheit". Die Reihenfolge der einzelnen Bausteine ist nicht festgeschrieben und erlaubt es, vor- oder zurückzugreifen. Der Einleitung jeden Kapitels folgt zunächst eine Vorentlastung von Thema und Vokabular. Der Haupttext 1 führt dann i. A. erste sprachliche, konzeptuelle und kulturelle Probleme ein, die systematisch vertieft und kontextualisiert werden. Ein interessanter Ansatz ist der Versuch, die Texte und Übungen für die Studierenden mit den Bearbeitungsvorschlägen für die Lehrenden in einem Band zu vereinigen. So umrahmt das Lehrerhandbuch das eigentliche Text-Buch, um somit zu einer offenen und kooperativen Unterrichtsgestaltung beizutragen. Für die Studierenden sind sicherlich der Schlüssel zu den Übungen, wie v. a. das einsprachige deutsche Glossar von besonderem Wert. "Für- und Wider-Sprüche" wird Lehrende wie Lernende auch in Japan zweifelsohne in vieler Hinsicht kreativ herausfordern können.  

Rezension zu "Trophologika Zedleriana"

von Frieder Sondermann, Sendai

Mancher Lektor dürfte schon die Erfahrung gemacht haben, daß sich Gespräche zum Kennenlernen zwischen Japanern häufig um Dialekt und Essen drehen. Auch im Unterricht ist das Thema Nahrung (Gastrosophie und Trophologie) vielseitig verwendbar. Wenn man dabei über die Ebene der Kochrezepte hinauskommen und der Textauswahl eine vertiefende Dimension hinzufügen möchte, empfiehlt sich eine Quelle, die nur in wenigen Bibliotheken vorhanden ist: das vielbändige Zedler-Universallexikon aus dem 18. Jahrhundert (Halle und Leipzig 1732-1754). Zwar gibt es davon mittlerweile wieder eine recht teure Reprint-Edition (im Akademie-Verlag Graz) und eine preiswerte Mikrofiche-Ausgabe (beim Fischer-Verlag in Erlangen), doch für das schnelle Heraussuchen spezieller Informationen sei auf eine nicht so bekannte Edition verwiesen: Das Universalkochbuch des 18. Jahrhunderts. Aus dem "Zedler" gezogen, zu neuer Ordnung versammelt und zum andern Mahle an Tag gebracht im Jahre MDCCCCLXXXXII, Bargfeld: Luttertaler Händedruck 1992, V, 274 Seiten, ISBN 3-928779-8, DM 48,-. Speiss und Tranck. Trophologisches aus dem "Zedler" gezogen ... Bargfeld: Luttertaler Händedruck 1993. 254 Seiten, ISBN 3-928779-05-2, DM 58,-. Diese beiden Bände bieten den Vorteil, in gut lesbarer Form (keine Fraktur-Schrift) die wichtigsten Artikel mit Kochrezepten, Beschreibungen der Zutaten, Kochgeräte sowie Eßsitten aus dem faktenreichen Lexikon wiederzugeben. Somit erhält man umfangreiches Material zur damaligen deutschen Eß- und Trinkkultur, aber auch zum entsprechenden Vokabular. Register am Ende der beiden Bände erleichtern die Suche nach bestimmmten Stichwörtern. Wenn der dritte Band mit der Auswertung der in den Artikeln verwendeten Quellen fertiggestellt ist, genügt diese Publikation allemal den Anforderungen an wissenschaftlich zitierfähiges Basismaterial, womit nicht nur Studenten ihre Magisterarbeiten über die "Geschichte der Nudel" ausstaffieren können. Die beiden Bände können direkt über den Verleger bezogen werden: Ulrich Goerdlen Salzburger Straße 8 D-10825 Berlin.  


Ein Fragment aus der (Arbeits-)welt der Frauen und Männer

von Ursula Richter, Miyazaki

Hintergrundszene: Ländlich-universitäre Beamtenbühne.

Zufälliger Ort der Handlung: Miyazaki, Japan

Zeit: Juni 1996

Die Personen der Handlung (alle im mittleren Lebensalter):

(Sichtbar:) Eine (japanische) Germanistin, beherzt, fraulich; ein Abteilungsältester (Japaner), vornehm, entschlossen; zwei weitere Germanisten (Japaner), wohlwollend, zurückhaltend; der Abteilungsleiter (Japaner), obrigkeitshörig, ängstlich.

Zwei (japanische) Beamte, grimmig, stoisch.

(Unsichtbar:) Eine deutsche Lektorin, unterrichtet im fünften Jahr Deutsch; ein amerikanischer Lektor, unterrichtet im zwanzigsten Jahr Englisch.

Handlung:

Die (sichtbaren) Germanisten starten ein ihnen selbst nicht ganz geheures Unterfangen: Die Verteidigung ihrer einzigen ausländischen Lektorenposition. Diese Position - ein verwegener Plan - wollen sie mit der jetzigen deutschen Lektorin besetzt halten, die jedoch einen unseligen Makel aufweist: von Haus aus nicht mehr die Jüngste, wird sie von Jahr zu Jahr älter. Dadurch wird sie - und infolgedessen die gesamte Deutschabteilung - zum widerspenstigen Dorn im Blickfeld des Mombuscho im fernen Tokio, so geht die Kunde.

Szene im Großraumbüro der Beamten:

"Der wichtige Beamte", sagt der weniger wichtige Beamte, "weigert sich, Euer ehrenwertes Deinstverlängerungsansuchen für die deutsche Lektorin, oh ehrenwerte Deutschlehrer, nach Tokio zu befördern."

Die (sichtbaren) Germanisten: "Was können wir tun?"

"Laßt die Finger von der alten Lektorin", sagt der weniger wichtige Beamte. Der wichtige Beamte nickt zustimmend, "Bedenkt, für zwei entlassene alte gibt's Geld für drei junge Lektoren. Im Jahre Heisei Zehn muß sie gehen."

Die (sichtbaren) Germanisten (beharrlich): "Sie soll bei uns bleiben, bis sie Sechzig ist. Sie ist eine wichtige Lehrerin. Wir unterrichten Deutsch. Kein Kunstturnen. Der Brief muß nach Tokio".

Die Beamten erschrocken: "Bis Sechzig? Ist es nicht genug, sie bis zu ihrem 56sten Lebensjahr hier zu haben?"

"Unseres Wissens ist der amerikanische Lektor in der Englischabteilung kürzlich 58 geworden?"

"Ja. Ein Mann arbeitet, bis er sein Pensionsalter erreicht."